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  • AutorenbildGregg Irol

Wie ich das erste Kapitel von Tabula Rasa schrieb

Aktualisiert: 8. Okt. 2021


Tabula Rasa - Alles auf Null: Kapitel 1 (erster Draft)

Wenn ich groß bin, dann werde ich Schriftsteller. Der Überlieferung zufolge habe ich das im Alter von ungefähr neun Jahren meiner dänischen Oma auf einer Wanderung durch das spätsommerliche Mecklenburg-Vorpommern erzählt.


Die Auffrischung dieser Anekdote auf weinseligen Familienfesten, hält meine Erinnerungen an dieses Erlebnis wach. Die Sonne stand hoch am Himmel, es roch nach Raps und Kuhdung und wir waren zu Fuß auf dem Weg zum Schrebergarten. Immer die Landstraße entlang. Auf der linken Seite, damit wir den Gegenverkehr sehen konnte. Doch außer einem Traktor sahen wir nichts. Es gab nicht viel Verkehr in den Achtzigern. Zur Ferienzeit. In Mecklenburg-Vorpommern.


Wir sangen Wanderlieder. Ich sang gerne. Melodie war nicht meine Stärke. Aber ich mochte die Texte. Und als uns keine Volkslieder mehr einfielen, fragte meine dänische Oma mich die Frage, die jedes neunjährige Kind gestellt bekommt. Was willst du werden, wenn du groß bist? Ich habe wohl nicht lange überlegt. Schriftsteller war mein Traumberuf. Nicht der klassische Traumberuf aber auch nicht so außergewöhnlich, dass es als Anekdote taugte. Was die Geschichte jedoch zu einer Geschichte machte, war die Begründung meiner Berufswahl. Ich wollte Schriftsteller werden, weil man da lange ausschlafen könnte.


Ich habe kürzlich alte Umzugskisten aus der Rumpelkammer hervorgeholt und in meinen vergilbten Schnellheftern mit mausgrauen Einbänden geblättert. Zeitzeugen meiner kindlichen Kreativität. Gedichte, Kurzgeschichten, Erlebnisberichte, Drehbücher und unbeholfene Zeichnungen. Mit Buntstiften konnte ich keine Bilder malen. Also versuchte ich es mit Worten. Das ging mir sehr viel leichter von der Hand. Ich liebte Geschichten. Bücher, Hörspiele, Filme. Die Freiheit, in andere Welten einzutauchen und sie mit der eigenen Fantasie auszuschmücken.


Womöglich hätte ich schon damals einen der unzähligen, unfertigen Romananfänge zu Ende gebracht. Aber dann kam der Sport, dann kamen die Freunde und dann kam das Leben. Ich wollte studieren. Auf eigenen Beinen stehen. Doch die Geschichten, sie ließen mich nicht los. Zumindest in der Theorie. Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften und Publizistik- und Kommunikationswissenschaften auf Magister. Eine Fächerkombination, die darauf ausgelegt war, damit später kein Geld zu verdienen.


Ich landete in der Softwarebranche. Gründete ein Unternehmen. Lernte viel. Vor allem wie man scheitert. Mit der Familiengründung kam der Wunsch nach Sicherheit und die Festanstellung in einer Digitalagentur. Die vierte industrielle Revolution erlebte ich am Zahn der Zeit. Ich habe keine Geschichten geschrieben während Geschichte geschrieben wurde. Und dann kam die Auszeit. Ein Jahr reisen. Mit Familie ohne Verpflichtungen. Und dann kamen die Ideen, die Geschichten, die weitergesponnen werden wollten. Und dann kam die Frage: Was wäre wenn?

Hier wurde das erste Kapitel von "Tabula Rasa - Alles auf Null" geschrieben

Wieder ein Nachmittag im Sommer. Diesmal nicht Mecklenburg-Vorpommern sondern Missouri. Unser Wohnmobil parkte seit einigen Tagen auf einem kleinen Campground am Shawnee Creek. Ich saß mit meiner Frau auf unseren Klappstühlen und wir starrten sorglos auf das plätschernde Bächlein, während unsere beiden Mädels ein Pferdepärchen mit Klee versorgten.


Halb in Gedanken versunken, erzählte ich von meinem Kindheitstraum. Einmal ein Buch schreiben. Ich erinnerte mich, dass ich immer wieder Ideen gesammelt und dann in farbigen Plastikordnern versenkt hatte. Worte faszinieren mich. Und manchmal gelingt es mir, sie zu bändigen. Ich habe nie aufgehört zu schreiben. Irgendwann waren es keine Geschichten mehr, sondern Blogartikel, Berichte, Kommentare oder Tweets. Die größte Freude bereitete es mir, wenn ich mit meinen Worten bei anderen etwas auslösen konnte. Einen Gedanken, eine Idee, eine neue Perspektive.


Und ich erwähnte - nur nebenbei -, dass ich eine Romanidee verwirklichen wollte, wenn es die Zeit zuließe. Es war nur so dahergesagt, aber es war nicht nur so dahergedacht. Und so ergänzte ich, dass ich die Befürchtung hätte, wohl noch bis zur Rente warten zu müssen, bis ich mich endlich dem Schreiben widmen könnte.


Und meine Frau stellte in das Murmeln des Bächleins hinein die Frage, die alles veränderte: “Warum?”


Und natürlich hatte sie recht. Warum und vor allem worauf sollte ich noch warten? Warum nicht einfach anfangen? Ihr Vorschlag war beeindruckend einfach. Ich sollte einfach anfangen. Die Geschichte aufschreiben. Kapitel für Kapitel. Und nach den ersten zehn Kapiteln, könnte ich immer noch entscheiden, ob ich wieder auf später warten oder meinen ersten Roman zu Ende schreiben wollte.


Wir machten einen Deal. Ich würde jeden Tag ein Kapitel schreiben und sie würde mir ihre Meinung sagen. Ungeschönt, wie sonst auch. Ich stand auf, öffnete meinen Laptop, legte mich aufs Bett in unserem Wohnmobils und tippte: “0,00€”


Das war die erste Zeile meines ersten Romans, der nun eineinhalb Jahre später unter dem Titel “Tabula Rasa - Alles auf Null” veröffentlicht wird.


Aller Anfang ist schwer, heißt es. Aber wenn die richtige Zeit gekommen ist, fällt es für einen Augenblick ganz leicht.



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